Erlebnis- und Besinnungsort

Kirchhof Talle

LEADER-Projekt: Erlebnis- und Besinnungsort Kirchhof Talle

Worum geht es genau?

Nachdem die Ev.-ref. Kirchengemeinde Talle in den Jahren 2016/2017 ihre Pfarrkirche außen und innen renoviert hat, geht es nun an die Wiederherstellung bzw. Neugestaltung des Außengeländes. Ausgangspunkt der Überlegungen waren die über 40 historischen Grabsteine rund um die Peterskirche, die zum Teil aufwändig gestaltet sind mit Inschriften, Wappen, Bibelsprüchen und christlichen Symbolen. Diesen historischen Schatz zu heben, hat sich das Projekt zur Aufgabe gemacht: Indem die Grabsteine frei im Gelände aufgestellt werden, soll der Kirchhof wieder als ehemaliger Friedhof erkennbar werden, als Ort, der die Lebenden an die Toten und die Kostbarkeit des Lebens erinnert. Mit Hilfe von QR-Codes und durch diese Website sollen die Inschriften der Grabsteine religionspädagogisch und museumspädagogisch erschlossen werden: Welche Hoffnung, welchen Glauben bringen die Steine zum Ausdruck? Und wie sieht es der heutige Besucher? Menschen, die auf einer Wanderung oder Radtour an der Kirche rasten, werden eingeladen, über grundlegende Fragen des Lebens nachzudenken.

Was ist LEADER?

LEADER ist ein Förderprogramm der Europäischen Union zur Entwicklung des ländlichen Raumes. LEADER steht dabei für „Liaison entre actions de développement de l ́économie rurale“, was übersetzt etwa bedeutet „Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft“.

Foto: Hans-Peter Wegner 2020

Bestandsaufnahme: gesucht und gefunden

Der Beginn der Arbeiten am Kirchhof war eine Bestandsaufnahme: Alle Grabsteine wurden vorsichtig abgebaut und sicher gelagert. Der stattliche und sehr gut erhaltene Doppelgrabstein Voshagen (C7) war so tief in einer Hecke verschwunden, dass er in keiner bisherigen Aufstellung auftauchte. Zusätzlich wurde noch ein kleinerer Stein (E6) von Osterhage 1857 und eine sehr gut erhaltene mutmaßliche Grabumrandung „P.A. Hausmann“ gefunden. Dagegen konnte leider ein Kindergrabstein, ein „sehr kleiner Stein“, nicht wiedergefunden werden. Er soll gem. der Aufstellung von Nicolas Rügge von 1995 in einem dichten Gestrüpp flach auf dem Boden gelegen haben. 1920 schrieb August Wiemann auch noch von etwa 80 Steinen. Aber immerhin ist uns der Schatz von 49 dieser historischen Grabsteine aus etwa 200 Jahren erhalten geblieben.

Grabplatte

Der größte Fund steht am Eingang des Kirchhofs. Als Frank Stölting mit dem Bagger vorsichtig das Grabmal mit dem Steinkreuz (D10) wegräumte, entpuppte sich die steinerne Unterlage als riesige Grabplatte, 1,50 m breit und 2,24 m lang. Frau Lenniger belegt, dass der darauf genannte 1670 verstorbene Provisor Henrich Klocke ein direkter Vorfahre zu dem auf dem Steinkreuz-Grabmal genannten 1869 verstorbenen Friedrich August Klocke zu Röntorf war. Die Grabplatte ist damit der älteste und größte Stein hier auf dem Kirchhof.

Foto: Margit Lenniger 2012
Grabplatte
Foto: Dietmar Sommer 2022

Wo fangen die Spuren des Kirchhofs an?

Nach der Bestandsaufnahme der alten Grabsteine und einem ersten Entwurf entwickelte sich eine spannende Reise in die Vergangenheit. Der Kirchhofkreis folgte den Spuren von August Wiemann, der 1920 das Büchlein „Heimatkundliche Bilder aus dem Ilsetal“ schrieb, Nicolas Rügge, der 1995 „Die Grabsteine an der Kirche in Talle“ veröffentlichte, Margit Lenniger, die 2005 mit Heinrich Stiewe, Roland Linde und Nicolas Rügge das Buch „Talle – Das Kirchdorf und seine Nachbarn“ herausbrachte und Thomas Kriete, der 2021 zu Lagersteinen forschte. Dabei hat der Kirchhofkreis noch mehr Ideen für diese Entdecker-Reise. Aber zunächst laden wir ein zu den historischen Anfängen des Kirchhofs:

Quelle: Lippisches Landesmuseum Detmold

Schutzort

Bereits seit dem Bau der Kirche um das Jahr 1100 war der Kirchhof zugleich ein „Heiliger Ort“ mit rechtlicher Immunität – also ein Schutzort, der sowohl für das Leben (Stichwort Asyl!) als auch für Hab und Gut Sicherheit vor Feinden zusichern sollte.

Friedhof

Ursprünglich stammt das Wort „Friedhof“ nicht von „Frieden“ sondern von „frîheid“ (Freiheit, Immunität, gesonderter Rechtsbezirk). An dem alten Wort „Einfriedung“ (Umzäunung) kann man diese Bedeutung noch erkennen. Dies erwies sich auch als praktisch, denn es verhinderte das Wühlen und die Hinterlassenschaften von frei im Dorf herumlaufenden Tieren (z.B. Schweine oder Hunde). Auch dieser Friedhof ist von einer Mauer eingefriedet, früher war er durch Tore ringsum vollständig abgeschlossen. Daran erinnern sich alte Taller*innen noch.                       

Der Begriff „Friedhof“ für einen Bestattungsplatz entstand erst im 19. Jh..

Würdevoll

Ein Friedhof als heiliger, geweihter Ort sollte weder durch ungebührliches Verhalten noch durch Beschmutzung entweiht werden. Wir wollen uns hier also auch würdevoll verhalten. Trotzdem ist es erlaubt und erwünscht, den begehbaren Thymian vorsichtig zu betreten, um seinen Duft bei einer Berührung zu riechen und die Grabinschriften auch ertasten zu können.

Unwürdig

Der mittelalterliche Brauch, Selbstmörder, Hingerichtete, Andersgläubige, Ehebrecher und weitere „unehrliche“ Personen von einem christlichen Begräbnis auf dem Kirchhof auszuschließen, hat sich an manchen Orten bis in die Neuzeit, also bis in die Zeit der ältesten Grabsteine auf dem Taller Kirchhof gehalten. Sie mussten außerhalb, an anderen, ungeweihten Orten begraben werden oder an der Nordwestseite nahe der Friedhofsmauer. 1

GrabSTELLE: Wurde der Verstorbene wirklich genau hier unter dem Grabstein begraben? – Nein, ziemlich sicher nicht! Die Grabsteine wurden (wie auch an einigen anderen Kirchen) vermutlich schon mehrmals umgesetzt, weil das Gelände anders genutzt oder neu belegt werden sollte. Bis 2019 standen die meisten dieser Grabsteine noch aufgereiht um die Kirche herum. So waren sie dekorativ platziert, ohne im Weg zu stehen (z.B. beim Rasenmähen). Es gibt Fotos von 1959, auf denen die schneebedeckten Steine noch anders – vielleicht einige an ihrer ursprünglichen Stelle – zu sehen sind. Aber schon 1920 rätselte August Wiemann über die Geheimnisse zu Standort und Leben der Verstorbenen, ohne viele Antworten zu finden – und damals war der Friedhof „erst“ 42 Jahre geschlossen.

Richtungen und Dörfer: Die Vermutung, dass die Grabstätten von der Kirche aus in der Richtung des der Familien-Wohnsitzes angelegt waren (wie an vielen anderen Kirchen in der Region), halten wir für sehr unwahrscheinlich. Denn auf der Zeichnung sieht man, dass die meisten Dörfer im Südwesten liegen, wie Kirchheide, Matorf und Brüntorf. Hier ist das Gelände aber sehr beengt und wird durch die Taller Straße begrenzt, nach Osten ist hingegen viel Platz.

Foto: Dietmar Sommer

Osten: Bei Bestattungen ist eine Ostung üblich, das Gesicht blickt in die Himmelsrichtung Osten, wo die Sonne aufgeht und Jerusalem liegt. Denn im Osten erwarten die Verstorbenen nach christlicher Auffassung am Jüngsten Tag die Wiederkunft, das zweite Kommen Jesu Christi. Bei der neuen Gestaltung des Kirchhofs wurden die Grabsteine auch nach Osten ausgerichtet. Kannst du bestimmen, wo Osten ist? Und in welche Himmelsrichtung blicken wir, wenn wir in der Kirche sitzen?

Bild Chorfenster ER IST UNSER FRIEDE  

Reformation und „sola gratia“: Zu Beginn der Neuzeit wurde mit der Reformation die Verehrung der Heiligen als Fürsprecher und Mittler zu Gott abgelehnt – auch ihre Fürbitte für die Toten. Durch Luthers Lehre „allein durch die Gnade“ (sola gratia) war das Seelenheil des Verstorbenen nun nicht mehr von der Fürbitte der Heiligen abhängig, sondern allein in Gottes Gnade begründet. Daher hatte die räumliche Nähe zum Altar und den Heiligen theologisch keine Bedeutung mehr.

Seelenheil: In der Zeit vor der Reformation wollte man sich im Leben wie im Tod der Kirche eng verbunden fühlen (ad sanctos). Die Menschen glaubten, es sei für ihr Seelenheil besser, in der Nähe des Altars und der Heiligen zu sein, am besten IN der Kirche am Altar. Die Heiligen wurden nämlich als Fürsprecher bei Gott angesehen – auch für die Verstorbenen. 1